Ernährung bei Krebs – Ein Interview mit Dr. Jann Arends, Experte für Ernährungsmedizin (DGEM) und Oberarzt für Onkologie
Ernährung bei Krebs: Ein Interview mit Dr. Jann Arends
Eine ausgewogene Ernährung spielt eine zentrale Rolle im Umgang mit Krebserkrankungen – doch wie können Patientinnen ihre Ernährung gezielt anpassen, um den Therapieverlauf zu unterstützen? Dr. Jann Arends, Oberarzt an der Universitätsklinik Freiburg und Experte für Ernährungsmedizin, Palliativ- und Komplementärmedizin, gibt Einblicke in die Bedeutung der Ernährung bei Krebs. Im Interview erklärt er, wie Patientinnen trotz Appetitlosigkeit oder Gewichtsverlust ihre Kräfte stärken können, welche Rolle das Immunsystem spielt und warum professionelle Ernährungsberatung von Beginn an sinnvoll ist.
Vorstellung Dr. Jann Arends
Dr. Jann Arends ist ein anerkannter Experte auf dem Gebiet der Gastroenterologie und Ernährungsmedizin. Von 1993 bis 2015 leitete er den Bereich Gastroenterologie und Ernährung an der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg. Seit 2015 ist er als Oberarzt an der Universitätsklinik Freiburg tätig.
Seine Schwerpunkte liegen in der Ernährungsmedizin, für die er 2003 von der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) zertifiziert wurde. Weitere zentrale Fachgebiete von Dr. Arends sind die Palliativmedizin und Komplementärmedizin. Besonders engagiert ist er in der Forschung zur Tumorkachexie sowie zur parenteralen Ernährung bei Tumorpatientinnen. In diesem Bereich arbeitet er eng mit einem internationalen Netzwerk führender Expertinnen zusammen.
Dr. Arends ist außerdem in mehreren wissenschaftlichen Fachgesellschaften aktiv und beteiligt sich an der Entwicklung von Leitlinien zur Ernährungstherapie bei Krebserkrankungen.
Weitere Informationen finden Sie in seinem Lebenslauf.
Sehr geehrter Herr Dr. Arends, sie engagieren sich seit Jahren in der Ernährungsmedizin: Welche Rolle spielt die Ernährung während einer Krebstherapie?
Wie können PatientInnen ihre Ernährung gezielt anpassen, um den Therapieverlauf positiv zu beeinflussen?
Dr. Jann Arends: Ebenso wie es nicht nur eine einzige Behandlung für alle Krebserkrankungen gibt, so können ganz unterschiedliche Ernährungsprobleme im Verlauf einer Erkrankung und bei unterschiedlichen Behandlungen auftreten. Bisher sind keine besonderen Speisen oder Nährstoffe bekannt, die speziell einen Therapieverlauf verbessern; es ist jedoch wichtig, die Körperkräfte und insbesondere die Abwehrkräfte während einer Behandlung zu stützen. Das gelingt am besten mit normalen Nahrungsmengen und regelmäßiger auch anstrengender körperlicher Aktivität. Dabei ist gerade diese Kombination wichtig, um ausreichend Energie und Nährstoffe in den Aufbau und Erhalt der Körperorgane zu leiten.
Wenn es keine Appetitstörung, keinen Gewichtsverlust und keine Magen-Darm-Probleme gibt, dann ist eine ausgewogene vielseitige Kost zu empfehlen und wenn an Therapietagen weniger gegessen wird, dann holt der Körper das in den folgenden Tagen meist wieder nach.
Gibt es Probleme mit dem Essen und droht Gewichtsverlust, dann gelten nicht mehr die Regeln einer angeblich „gesunden Kost“ sondern man sollte darauf achten, möglichst ausreichende Energiemengen aufzunehmen.
Gibt es bestimmte Lebensmittel oder Nährstoffe, die das Immunsystem stärken?
Welche Empfehlungen geben Sie speziell für KrebspatientInnen mit erhöhter Infektanfälligkeit?
Dr. Jann Arends: Nach aktuellen Erkenntnissen sind für einen guten Immunschutz ein normales Körpergewicht, eine gute körperliche Leistungsfähigkeit und ein möglichst vielseitiges Darmmikrobiom wichtig. Körpergewicht und Leistungsfähigkeit beruhen auf einer bedarfsgerechten Ernährung und regelmäßiger Aktivität und Muskeltraining. Die immunstützende Besiedelung unseres Darms mit „guten“ Bakterien profitiert offensichtlich von einer möglichst „bunten“, d.h. sehr abwechslungsreichen Kost mit reichlich Ballaststoffen aus Gemüse und Obst.
Besteht eine relevante Immunschwäche mit Infektanfälligkeit, dann sollten unbedingt unzureichend erhitzte tierische Produkte und andere Lebensmittel mit hohem Risiko für eine Keimbelastung (rohe Sprossen, rohe Nüsse, Salatbar oder -buffet) gemieden werden. Außerdem ist es sehr wichtig, durchgehend Basisregeln der Hygiene beim Einkauf, der Lagerung und der Zubereitung von Lebensmitteln zu beachten.
Sie möchten sich selbst noch weiter über Ernährung bei Krebs informieren?
Hier finden Sie die Literaturtipps unseres Experten:
- Ernährung. Onkopedia, DGHO 2023: Link
- Ernährung bei Krebs. Deutsche Krebshilfe, Die blauen Ratgeber. 2023. Kostenfrei über die Deutsche Krebshilfe erhältlich und Online verfügbar: Link
- Essen und Trinken während der Krebstherapie. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) 2022. Erhältlich bei der DGE für Eur 1,00 zzgl. Versandkosten: Link
Wie können PatientInnen mit Appetitlosigkeit oder Gewichtsverlust umgehen?
Welche praktischen Tipps haben Sie, um die Kalorien- und Nährstoffaufnahme sicherzustellen?
Dr. Jann Arends: Bei Appetitlosigkeit ist es wichtig, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um eben doch möglichst ausreichend essen zu können. Vor dem Essen ist ein Spaziergang sinnvoll, es können Appetitanreger (z.B. Kräuter, Aperitif, Bittertropfen, Tee) versucht werden. Gute Rahmenbedingungen sind mild gewürzte, lieber gedünstete als gebratene leicht verträgliche und geruchsarme angerichtete Speisen, eine angenehme Atmosphäre beim Essen, ausreichend Zeit, eventuell Ablenkung durch Gespräche, Radio, TV. Es kann hilfreich sein, „nach der Uhr“, auch ohne Hunger, zu essen und kleine energiereiche Snacks für Zwischendurch bereit zu legen. Mit einer Ernährungsfachkraft sollte ein Anreichern der Speisen mit Fett und Protein besprochen werden. Bleibt dies unzureichend, können bilanzierte Trinknahrungen zusätzlich eingenommen werden. Solche nährstoffreichen Lösungen können in neutraler Geschmacksrichtung Speisen zugemischt werden; als Zwischenmahlzeiten können sie in unterschiedlicher Konsistenzform und in diversen Geschmacksrichtungen probiert werden.
Ist Essen fast oder gänzlich unmöglich, so gibt es die Möglichkeiten einer Sondenernährung bei funktionsfähigem Dünndarm und einer intravenös-parenteralen Ernährung, die den Magen-Darmtrakt komplett umgeht. Eine solche „künstliche“ Ernährung kann alle für den Bedarf erforderlichen Nährstoffe, Vitamine, Spurenelemente und Energieträger zuführen.
Ist der Verzicht auf bestimmte Lebensmittelgruppen (z. B. Zucker, rotes Fleisch) sinnvoll, um das Tumorwachstum zu hemmen?
Welche Ernährungstrends oder sogenannte „Diäten gegen Krebs“ sehen Sie kritisch?
Dr. Jann Arends: Rotes Fleisch und ein schlecht eingestellter Diabetes werden als Risikofaktoren für eine Krebsentstehung diskutiert. Während einer Krebsbehandlung tragen diese Nährstoffe aber nicht speziell zum Tumorwachstum bei. Bei Gewichtsverlust sind tierische Produkte, einschl. Fleisch sogar hilfreich, weil sie den meist erhöhten Proteinbedarf decken helfen. Reiner Zucker ist aber weniger empfehlenswert, weil er rasch ins Blut übergeht und so den Blutzucker anhebt. Das kann ungünstig sein, weil bei einer Krebserkrankung die Zuckerverwertung gestört sein kann und anhaltend erhöhte Zuckerspiegel Organbelastungen und eine Infektanfälligkeit vermitteln. In solchen Situationen sind Speisen mit mehr Protein (wegen des erhöhten Bedarfs) und mit mehr Fett (wegen der besseren Verwertung) zu bevorzugen.
Kostformen mit direkter Auswirkung auf das Krebswachstum oder auf eine Krebsbehandlung sind nicht bekannt. Deshalb sind alle Kostformen und Diäten mit einer behaupteten Anti-Krebswirkung zu vermeiden, wenn sie zu einer verminderten Nahrungsaufnahme und zu Gewichtsverlust beitragen. Dies betrifft zum einen energiereduzierte Diäten und Fastenkuren sowie Ernährungsformen, die sehr einseitig sind, sehr aufwändig zubereitet werden müssen oder die so ungewohnt oder unangenehm schmecken, so dass sie einfach nicht ausreichend gegessen werden.
Wie wichtig ist eine professionelle Ernährungsberatung für KrebspatientInnen und ab wann sollte sie in Anspruch genommen werden?
Wie kann eine individuelle Ernährungsstrategie den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen?
Dr. Jann Arends: Nicht jede oder jeder von einer Krebserkrankung betroffene hat Ernährungsprobleme. Aber wegen des bei einer Krebserkrankung sehr hohen Risikos für die Entwicklung einer Mangelernährung und der so unterschiedlichen möglichen Belastungen, die den Appetit, das Essen, die Verdauung und den Erhalt der Körperkräfte beeinträchtigen können, wird von nationalen und internationalen Leitlinien empfohlen, ab Diagnose einer Krebserkrankung und wiederholt im Verlauf der Erkrankung, professionelle Ernährungsfachkräfte in die Betreuung einzubeziehen. Die immer ganz individuellen Situationen mit dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Probleme und Belastungen lassen sich nicht mit einer Standardempfehlung klären. Umso wichtiger ist dann die Expertise in der Ernährungstherapie erfahrener Personen, um gemeinsam mit den Betroffenen die im Einzelfall sinnvollsten Empfehlungen und Behandlungsschritte zu wählen.
Weitere spannende Beiträge von Dr. Jann Arends zum Thema Ernährung bei Krebs
Hier finden Sie weitere Beiträge zu folgenden Themen:
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- Essen nach Krebs. Krebs-Infotag des Tumorzentrums Freiburg – CCCF am 6. März 2021 Online-Vorträge für Patient*innen und Angehörige: Link
- Darm, Ernährung und Abwehr. Krebs-Infotag des Tumorzentrums Freiburg – CCCF am 6. März 2021 Online-Vorträge für Patient*innen und Angehörige: Link
- Dr. med. Jann Arends, DGHO 2017: Ernährung – wesentlicher therapeutischer Faktor. Dr. Jann Arends, von der Inneren Medizin I am Universitätsklinikum Freiburg und Leiter der DGHO-Arbeitsgruppe Stoffwechsel und Ernährung, im Interview zum Stellenwert von richtiger Ernährung während der Krebsbehandlung: Link
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