Zurück in den Beruf nach Krebs: Interview mit Marie Rösler (ASO der Deutschen Krebsgesellschaft e.V.) und Dr. Clara Breidenbach (Deutschen Krebsgesellschaft e.V.)

Jährlich erhalten rund 500.000 Menschen in Deutschland eine Krebsdiagnose. Etwa 35 Prozent aller Krebserkrankungen treten bei Menschen im erwerbsfähigen Alter auf. Die Erwerbsfähigkeit spielt deshalb eine wichtige Rolle im Leben vieler Menschen: Sie strukturiert den Alltag, schafft eine Identität und sichert nicht zuletzt das Einkommen.

Doch die Krebstherapie hinterlässt Spuren, sowohl körperlich als auch seelisch und verändert das Leben der Betroffenen auch nach dem Krebs nachhaltig. Die Rückkehr in den Beruf nach einer Krebserkrankung ist daher ein hochrelevantes Thema für Betroffene. Jedoch ist der Wiedereinstieg mit vielen Fragezeichen, Herausforderungen und Sorgen verbunden.

Auch Monate nach der Rehabilitation benötigen viele Betroffene weiterhin Unterstützung bei der Wiedereingliederung in den Beruf. Im Rahmen der von der Deutschen Rentenversicherung Bund geförderten Studie CARES wird eine kostenlose intensivierte Unterstützung bei der Rückkehr in den Beruf in Krebsberatungsstellen angeboten. Das Ziel der Studie ist, herauszufinden, welche Unterstützung Betroffene bei der Rückkehr ins Erwerbsleben benötigen und wie ein entsprechendes Angebot in Krebsberatungsstellen optimal gestaltet werden kann.

In diesem Interview mit Marie Rösler, Dipl. Sozialpädagogin, und Dr. Clara Breidenbach, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Krebsgesellschaft e.V., erhalten Sie Informationen, wie Sie nach einer Krebserkrankung den Wiedereinstieg in den Beruf angehen können, welche Ansprüche Sie haben und welchen Beitrag die Versorgungsstudie CARES zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Krebs beim Wiedereinstieg in den Beruf nach einer Krebserkrankung leistet.

Vorstellung Frau Marie Rösler und Frau Dr. Clara Breidenbach

Frau Rösler und Frau Dr. Breidenbach, vielen herzlichen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben, ein Interview zur Rückkehr in den Beruf nach Krebs zu führen. Bitte stellen Sie sich kurz vor.

Marie Rösler

Ich bin Dipl. Sozialpädagogin und habe in den letzten 33 Jahren meines Berufslebens die psychosoziale Krebsberatungsstelle der Bremer Krebsgesellschaft geleitet. Über diese lange Zeitspanne hat das Thema Reintegration ins Erwerbsleben bei und nach Krebs dank verbesserter Behandlungsmethoden und steigenden Überlebensraten in unseren Beratungsgesprächen einen immer breiteren Raum eingenommen.

Marie Rösler
Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft für Soziale Arbeit in der Onkologie (ASO) der Deutschen Krebsgesellschaft e. V.
Dr. Clara Breidenbach
wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsche Krebsgesellschaft e.V.

Dr. Clara Breidenbach

Ich habe Kommunikationswissenschaften studiert und arbeite seit 2018 bei der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Dort betreue ich Projekte, die sich mit Fragen zur Lebensqualität, psychosozialen Probleme und der Rückkehr in die Arbeit während und nach einer Krebserkrankung beschäftigen. Wir möchten mit diesen Projekten zu einer besseren Versorgung von Krebsbetroffenen beitragen. Vor kurzem habe ich meine Promotion in Gesundheitswissenschaften abgeschlossen.

Rückkehr in den Beruf nach Krebs

Die Krebstherapie ist beendet und viele Betroffene möchten schnell die „Normalität“ wiedererlangen und somit auch zurück in den Beruf. Lassen Sie uns zunächst über die Wege für die Rückkehr in den Beruf sprechen.

Weshalb ist die Rückkehr in den Beruf nach Krebs so wichtig und mit welchen Herausforderungen ist sie verbunden?

Marie Rösler: Für viele krebsbetroffene Menschen ist es aus vielfältigen Gründen wichtig, nach Beendigung der Akutbehandlung wieder ins Erwerbsleben zurück zu kehren. Arbeiten zu können, bedeutet Normalität, gibt Sicherheit, ist sinnstiftend, ermöglicht soziale Kontakte, stärkt das Selbstwertgefühl und die Lebenszufriedenheit. Genauso schwer wiegt die verschärfte finanzielle Situation bei längerer Krankheit und die Sorge um den möglichen Verlust des Arbeitsplatzes. Selbständig Tätige und Menschen mit Einkommen aus Minijobs trifft eine Krebserkrankung finanziell besonders hart. Bei Selbständigen bleibt vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an das Einkommen aus, beim Minijob nach 6 Wochen Lohnfortzahlung. Junge Menschen mit Krebserkrankungen haben ebenfalls oft mit erheblichen finanziellen Sorgen zu kämpfen: Sie sind beruflich noch nicht fest im Sattel und nicht selten durch Familiengründungen etc. bereits vor der Erkrankung finanziell belastet.

60-65% der krebsbetroffenen Menschen kehren ins Arbeitsleben zurück. Die Rückkehr verläuft jedoch nicht immer reibungslos. Sie ist teilweise mit erheblichen Herausforderungen, Befürchtungen und Problemen verbunden: Krankheits- und behandlungsbedingte Leistungseinschränkungen müssen bewältigt und neue Routinen am Arbeitsplatz gefunden und ausgehandelt werden, Unsicherheiten im Umgang mit Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten sind zu meistern und insgesamt gilt es, dem Arbeitsdruck stand zu halten.  Hinzu kommt die Sorge, bei Überanstrengung und körperlicher und seelischer Erschöpfung die wiedergewonnene Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Schon diese beispielhaft aufgeführten alltäglichen Herausforderungen machen deutlich, welche zusätzlichen Kraftanstrengungen nötig sind, um nach längerer schwerer Krankheitszeit wieder ins Arbeitsleben zurück zu kehren. Gleichzeitig verdeutlichen diese Beispiele, wie wichtig es ist, auf Unterstützung zurückgreifen zu können und Angebote zu nutzen, die die Rückkehr ins Arbeitsleben erleichtern.

Welche Ansprüche haben Menschen, die nach einer Krebserkrankung zurück in den Beruf möchten und wie können sie diese geltend machen?

Marie Rösler: Erwerbstätige Menschen, die im Kalenderjahr mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig krank sind, haben einen gesetzlichen Anspruch auf ein sogenanntes Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM). Dabei handelt es sich um vertrauliche Gespräche zwischen Arbeitgeber und arbeitsunfähigen Mitarbeitenden. Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, dazu schriftlich einzuladen. Die Mitarbeitende kann das Angebot annehmen oder nicht. In den BEM-Gesprächen wird abgestimmt, wie die Rückkehr des erkrankten Mitarbeitenden gelingen und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.

Vielleicht wird in dem ersten BEM-Gespräch vereinbart, dass der betroffene Mitarbeitende vor der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme durchführt und in der Rehabilitation die berufliche Situation thematisiert.

Eventuell sind vor Arbeitsaufnahme Anpassungen des Arbeitsplatzes wie zum Beispiel technische Arbeitshilfen erforderlich oder die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit setzt eine berufliche Qualifizierung voraus.

In der Regel entscheiden sich krebsbetroffene Menschen für eine stufenweise Rückkehr zur Arbeit nach dem Hamburger Modell. Dabei steigert der Betroffene die Arbeitszeit an seinem bisherigen Arbeitsplatz nach und nach. In dieser Zeit ist er/sie weiterhin arbeitsunfähig und erhält in der Regel Krankengeld oder Übergangsgeld der Rentenversicherung, wenn die stufenweise Wiedereingliederung im Anschluss an die medizinische Rehabilitation erfolgt.

Die Dauer der stufenweisen Wiedereingliederung ist individuell und richtet sich nach der Belastbarkeit. Vielleicht wird im Rahmen der Wiedereingliederung deutlich, dass ein Zurück auf den alten Arbeitsplatz oder in Vollzeit (vorerst) nicht möglich ist. Dann müssen gemeinsam andere Lösungen gefunden werden wie z. B. Tätigkeitsanpassungen und/oder Teil-Erwerbsminderungsrente beantragen, ggfls. Resturlaub einsetzen und so über einen längeren Zeitraum nur 4 statt 5 Tage bei vollem Lohn arbeiten, oder flexible Arbeitszeitmodelle probieren.

Selbstfürsorge bei der Rückkehr in den Beruf

Worauf sollten Betroffene achten?

Marie Rösler: Um die Rückkehr in den Beruf gut zu gestalten, rate ich Betroffenen selbstfürsorgsam zu handeln. Beispielsweise empfehle ich:

  1. Während der Krankheitszeit mit dem *der Arbeitgeber*in und den Kolleg*innen im Kontakt bleiben, wenn die Kräfte dafür ausreichen. Wer sich regelmäßig meldet, wird nicht vergessen und findet leichter wieder Anschluss.
  2. Vor der Rückkehr ins Arbeitsleben ist es hilfreich, sich Klarheit zu verschaffen: Habe ich verständnisvolle Kolleg*innen und Chefs? Gibt es Kolleg*innen, die mich unterstützen können? Fühle ich mich schon einsatzfähig? Welche Veränderungen am Arbeitsplatz sind nötig? Spreche ich meine Erkrankung auf der Arbeit an? Wie reagiere ich, wenn ich gefragt werde?
  3. Erst mit der Wiedereingliederung beginnen, wenn Sie sich ausreichend belastbar fühlen.
  4. Das eigene Zeitmanagement im Blick behalten.
  5. Für ausreichend Erholung und Zeit für Bewegung und Hobbies sorgen.
  6. Sich selbst wichtig nehmen und auf Körpersignale achten.

Wie können Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden bei der Wiedereingliederung unterstützen?

Marie Rösler: Am wichtigsten ist die Bereitschaft des Arbeitgebers, den erkrankten Mitarbeitenden bei der Rückkehr auf den Arbeitsplatz zu unterstützen. Das beinhaltet ein offenes Kommunikationsangebot sowie Flexibilität bezüglich der Arbeitsorganisation (Arbeitszeiten, Pausenregelung, Home Office-Alternativen) und die Bereitschaft, den Arbeitsplatz des Betroffenen technisch und bezüglich des Arbeitsumfangs anzupassen.

CARES-Studie

Was genau wird in der CARES-Studie untersucht?

Dr. Clara Breidenbach: Die Studie besteht aus zwei Teilen: Zuerst wurden Beratende in Krebsberatungsstellen durch erfahrene Beraterinnen wie Frau Rösler zu sogenannten Berufslotsinnen und -lotsen geschult. Seit Oktober 2022 bieten diese Berufslotsinnen und -lotsen mit der besonderen Expertise zu beruflichen Themen nun eine intensivierte Beratung und Begleitung in den Krebsberatungsstellen an.

Im zweiten Teil der Studie wird das Angebot der Berufslotsinnen und -lotsen auf Machbarkeit untersucht. Das bedeutet, es wird betrachtet, welche Bedürfnisse die teilnehmenden Ratsuchenden haben, ob ihnen geholfen wird und welches Feedback sie zu der intensivierten Beratung durch die Berufslotsinnen und -lotsen geben. Auch die Erfahrungen der Berufslotsinnen und -lotsen werden evaluiert. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, das Angebot zu verbessern und – bei positiven Ergebnissen – in möglichst vielen Krebsberatungsstellen zu etablieren.

Wie kann sich eine interessierte Person die Studienteilnahme vorstellen?

Dr. Clara Breidenbach: Um das Beratungsangebot zu erhalten, können interessierte Personen einfach einen Termin in einer der teilnehmenden Krebsberatungsstellen mit einer Berufslotsin/ einem Berufslotsen vereinbaren. Die Kontaktdaten erhalten interessierte Personen gerne unter breidenbach@krebsgesellschaft.de. Das Angebot ist kostenlos und es beteiligen sich Krebsberatungsstellen in verschiedenen Teilen Deutschlands. Sollte keine teilnehmende Krebsberatungsstelle in der Nähe sein, können Termine auch telefonisch oder online gemacht werden. Wie die Beratung aussieht, hängt dann ganz individuell von der ratsuchenden Person ab und wird auf die spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten. Dabei informiert die Berufslotsin zum Beispiel darüber, welche Ansprüche die Ratsuchenden in ihrer jeweiligen Situation haben und wie sie diese geltend machen können.  Darüber hinaus können auch intensivere Begleitungen erfolgen. Zum Beispiel kann die Berufslotsin oder der Berufslotse die Ratsuchenden bei einem Gespräch mit dem Abreitgeber oder zu einem Termin beim Amt begleiten, wenn das gewünscht ist. Zusätzlich werden die Studienteilnehmenden an vier Zeitpunkten gebeten, einen Fragebogen auszufüllen: zum Beginn und zum Abschluss der Beratung sowie drei und rund sechs Monate nach Beginn der Beratung.

Wie können Menschen mit Krebs von ihrer Teilnahme an der CARES-Studie profitieren?

Dr. Clara Breidenbach: Zum einen können sie natürlich selbst davon profitieren, weil sie durch eine Teilnahme an der Studie besondere Aufmerksamkeit und eine intensivere und individuelle Unterstützung durch die Berufslotsinnen und -lotsen in den Krebsberatungsstellen erhalten. Zum anderen tragen Studienteilnehmende dazu bei, die Versorgung für zukünftige Krebsbetroffene zu verbessern, indem sie zum Beispiel Feedback zu dem entwickelten Angebot geben.

Welche Zwischenergebnisse hat die CARES-Studie bisher?

Dr. Clara Breidenbach: Die Studie ist noch in vollem Gange, deshalb können wir noch keine Ergebnisse berichten. Aber es zeigt sich jetzt bereits, dass der Bedarf für eine Unterstützung bei der Rückkehr in den Beruf bei den Betroffenen sehr groß ist. Und dass die beruflichen Situationen und Herausforderungen der Ratsuchenden ganz individuell sind. Wir konnten auch herausfinden, dass die Beratung in jedem Fall längerfristig angesetzt werden sollte, weil im Verlauf der Wiedereingliederung immer wieder neue und andere Probleme und Herausforderungen auftreten können.

Möchten Sie Kontakt zu einer Berufslotsin oder Berufslotsten?

Wenden Sie sich gerne an breidenbach@krebsgesellschaft.de.

Interessierte können sich noch bis Ende 2023 für eine Teilnahme melden.

Wer darf an der CARES-Studie teilnehmen?

Dr. Clara Breidenbach: An der CARES-Studie teilnehmen und somit eine intensivierte Unterstützung durch eine Berufslotsin/ einen Berufslotsen erhalten  können alle Personen, die selbst schon mal eine Krebsdiagnose erhalten haben, volljährig sind und Fragen und Anliegen rund um das Thema Beruf haben.

Persönliche Empfehlung

Zum Abschluss: Welchen Rat oder Tipp würden Sie einem Menschen für die Rückkehr in den Beruf nach einer Krebserkrankung geben?

Marie Rösler und Dr. Clara Breidenbach: Mit Fragen und Problemen rund um die Arbeit nach und während einer Krebserkrankung sind Sie nicht allein – es gibt Anlaufstellen, wie Krebsberatungsstellen, die Sie dabei unterstützen können.

Quellen & weiterführende Informationen

Weiterführende Informationen:

Quellen:

Über den iuvando Patientenblog

Wir brennen für Wissenschaft und wollen Ihnen komplizierte Themen rund um die Krebsforschung einfach verständlich machen, die neuesten Informationen zu Behandlungsmöglichkeiten teilen und mit Ihnen nützliche Tipps für das Leben mit Krebs austauschen.

Wir freuen uns, wenn Sie uns hier oder auf unseren Social Media Kanälen Facebook und instagram begleiten.