Mentale Gesundheit und Leben mit Fatigue bei Krebs: 8 Fragen an Brustkrebspatientin Alexandra von Korff
Wie fühlt sich das Leben mit Fatigue bei Krebs an? Welche Herausforderungen stellt Fatigue an die mentale Gesundheit und wie kann man ihr begegnen? Wir haben die ehemalige Brustkrebspatientin und Krebsbloggerin Alexandra von Korff gefragt, denn niemand kann diese Frage besser beantworten als eine Betroffene selbst. In diesem Interview teilt Sie mit Ihnen Ihre Tipps und Erfahrungen aus Patientinnensicht.
Vorstellung Alexandra von Korff
Alexandra von Korff ist 49 Jahre alt, lebt mit ihren beiden Grundschulkindern in Köln und erhielt 2017 die Diagnose Brustkrebs. Vor Ihrer Krebserkrankung war sie im strategischen Business Management tätig. Der Krebs hat ihr ganzes Leben geändert und ihre Prioritäten neu sortiert. Sie spricht als Krebsbloggerin „Kick Cancer Chick“ über Brustkrebs und die damit verbundene mentale Gesundheit. Außerdem veröffentlicht sie unter anderem regelmäßig den Podcast 2 Frauen 2 Brüste, der das Thema Brustkrebs enttabuisiert.
Sie gehören zu den Menschen, die offen über Themen rund um die mentale Gesundheit und Krebs sprechen. Wie kommt es dazu, dass Ihnen das Thema so am Herzen liegt?
Alexandra von Korff: Es ist ein großes Tabu über mentale Gesundheit zu sprechen. In unserer Gesellschaft sollen wir immer stark sein. Niemand möchte zugeben, wenn es einmal nicht rund läuft und nach außen hin tun viele Menschen so, als wäre immer alles in Ordnung und Herausforderungen mit der mentalen Gesundheit würden keine Rolle bei ihnen spielen.
Dabei sieht die Realität bei uns allen zeitweise anders aus. Es gibt Zeiten, da läuft gar nichts rund und alles ist schwer. Diese verzerrte Realität macht Druck.
Niemandem geht es immer gut. Würden viel mehr Menschen den Mut aufbringen und Schwäche zeigen, würde unsere Gesellschaft viel mehr dazugewinnen. Denn Schwäche zeigen zu können, ist eine Stärke. Niemand ist weniger wert dadurch.
Ganz im Gegenteil: Es tut gut offen zu sagen, wie es wirklich ist und vor allen Dingen ist es vollkommen normal, dass wir nicht immer auf einem Toplevel funktionieren. Ich finde, es muss in Ordnung sein, zu sagen: Es geht mir nicht gut und ich leide unter meiner Situation. Ich möchte, dass es mir endlich wieder besser geht und versuche alles dafür zu tun.
Auch lange nach Ihrer Krebserkrankung begleitet Sie die Fatigue und mentale Herausforderungen.
Wie fühlt sich die Erschöpfung an? War das schon immer so oder kamen die Beschwerden erst später?
Alexandra von Korff: Die Fatigue begann während meiner Krebs-Bestrahlung. Ich fühlte mich plötzlich extrem müde und erschöpft. Das Gefühl verstärkte sich, als ich nach der Bestrahlung eine Tabletten-Chemotherapie erhielt. Mein Behandlungsteam sagte mir, das sei normal und der Körper brauche Zeit. Die Erschöpfung würde wieder vergehen. Doch seit vier Jahren hat sich die Situation nicht mehr gebessert und ich bin immer noch von Fatigue betroffen.
Ich hatte bereits vor der Krebsdiagnose mit Erschöpfungsgefühlen zutun, da ich zwei kleine Kinder habe und der Alltag fordert. Ich weiß also, wie sich Erschöpfung anfühlt. Damals habe ich mich jedoch ins Bett gelegt und nach ein wenig Ruhe ging es mir wieder besser. Bei der Fatigue ist es anders.
Ich kann mich nicht mit Schlaf erholen, egal ob ich abends um 21 Uhr ins Bett gehe oder um 2 Uhr nachts. Ich bin am nächsten Morgen genauso müde.Die Fatigue fühlt sich in schlimmen Phasen für mich an, wie ein Amboss auf den Schultern. Mein Körper fühlt sich schwer an und ich muss mich stark aufraffen, um etwas zu tun.
Das ist auch mental belastend, da ich durch diese Müdigkeit dünnhäutiger bin, meine Konzentration darunter leidet und ich mich dadurch schwer auf etwas fokussieren kann.
Ich kann nichts „mal eben“ tun, sondern an manchen Tagen wird schon das Treppensteigen zur Herausforderung.
Wird Ihre Fatigue behandelt und was tun Sie, um mit der Erschöpfung möglichst gut durch den Alltag zu kommen?
Alexandra von Korff: Da es keine richtige Diagnosestellung gibt, sondern die Fatigue Diagnose durch Ausschluss anderer Ursachen erfolgt, gibt es keine standardisierten Behandlungsmöglichkeiten, sondern lediglich Empfehlungen.
Ich war Teil der FatiGO-Studie der Uniklinik Köln und habe dort bereits viel umgesetzt. Ich treibe regelmäßig Sport und achte auf meine Ernährung.
Ich habe auch schon viel ausprobiert – begonnen bei traditioneller chinesischer Medizin (TCM) über eine Anpassung der Mikronährstoffe bis hin zu begleiteter Ernährungsergänzung. Das, was hilft, ist für jeden Fatigue-Betroffenen so individuell, dass eigentlich nur Trial & Error in Frage kommt.
Sie haben auch eine Tagesklinik besucht, um besser mit Ihrer Fatigue leben zu können. Wie kann man sich den Aufenthalt vorstellen? Haben Sie von Ihrem Aufenthalt profitiert?
Alexandra von Korff: Das ist richtig. Ich war acht Wochen in einer Tagesklinik, um Strategien und Strukturen zu lernen, die mir helfen, meinen Alltag mit Fatigue bewältigen zu können bevor ich aus einem Burnout nicht mehr heraus komme.
In der Tagesklinik haben wir einen strukturierten Tag mit psychologischen Gruppen- und Einzeltherapien, kreativen und gestalterischen Angeboten, sowie Bewegung an der frischen Luft und Sport. Es gibt auch Achtsamkeitsangebote und Yoga. Außerdem erhalten wir Hilfestellung für die Strukturierung und Organisation des Alltags.
Alles in allem ist das sehr erholsam und hilfreich, wäre vor und nach der Tagesklinik nicht der Alltagsstress als hauptsächlich Alleinerziehende. Als Mutter bin ich schon vor der Tagesklinik gefordert: Die Kinder müssen in die Schule und wir haben deshalb den gleichen morgendlichen Trubel, wie viele andere Familien. Mein Tag fängt also nicht um 8 Uhr in der Tagesklinik an und endet danach, sondern ich habe vorher und nachher zusätzlich den Alltag und damit verbundenen Mental Load zu bewältigen. Während dieser Zeit unterstützte uns bei einigen Tätigkeiten zwar eine Haushalthilfe, aber trotzdem ist viel los: Wir machen Hausaufgaben, kochen Abendessen, gehen zum Kinder-Karate oder besuchen Kindergeburtstage. Eingebettet in unser Familienleben habe ich also 8 Stunden versucht, mich zu erholen, zu töpfern und an meiner Fatigue-Bewältigung zu arbeiten.
Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – habe ich von dieser Anstrengung sehr profitiert, denn ich habe das Gelernte aus der Tagesklinik sofort angewendet und mich immer gefragt: Wie organisiere ich mich, was kann ich wann erledigen und wie muss mein Tag strukturiert sein, damit alles klappt?
Struktur hilft mir sehr im Umgang mit der Fatigue. Ich versuche mich so zu organisieren, dass ich einerseits nicht mehr die Sklavin meines Wochenplans bin und auf meine Bedürfnisse achten, aber andererseits trotzdem den Tag bewältigen kann, ohne der Fatigue zu erliegen.
Was tun Sie außerdem gegen Ihre Fatigue, welche Angebote nutzen Sie?
Alexandra von Korff: Ich habe gemerkt, dass mir Bewegung guttut und versuche sie regelmäßig in meinen Tag einzubauen. Beispielsweise bin ich in einer Laufgruppe mit anderen Müttern, die Kraftübungen mit Jogging kombiniert, fahre im Alltag überall mit dem Fahrrad hin und versuche regelmässig zum Frühschwimmen zu gehen.
Außerdem habe ich nach einem längeren Krankenhausaufenthalt und Sportverbot mit EMS-Training begonnen, um wieder Muskelmasse aufzubauen. Damit schaffe ich eine Grundlage, um mich körperlich fitter zu fühlen. Um mich zu entspannen, mache ich gerne Yin Yoga, das ist sanftes Yoga mit meditativem Aspekt.
Auch wenn mir die Bewegung guttut, klappt es nicht immer, weil ich so erschöpft bin. Oft muss ich abwägen, ob ich nun wirklich zum Sport gehe oder die Zeit nutze und mich erhole, indem ich in Ruhe einen Kaffee trinke oder entspanne, um wieder aufzutanken.
Oft ist es auch wie bei jedem anderen: Ich habe keine Lust und es siegt einfach der innere Schweinehund. Manchmal gilt aber auch „Augen zu und durch“. Dann stelle ich mir vor, wie großartig es sich anfühlt, wenn ich meine Bahnen im Schwimmbad gezogen habe. Dabei fällt mir das Losgehen am schwersten.
Deshalb hilft mir auch hier die Struktur: Ich richte mir abends immer schon die Sachen für den nächsten Tag. Möchte ich morgens schwimmen, muss ich also nur noch in meinen Badeanzug schlüpfen und kann sofort los.
Tipps, wie Sie sich zu Bewegung motivieren können:
Verabreden Sie sich! Eine Verabredung mit einer Freundin oder Bekannten kann wahre Wunder wirken, weil Sie Verbindlichkeit schafft. Und nebenbei stärkt die Aussicht auf einen gemeinsamen Kaffee nach dem Sport die Motivation ungemein.
Nicht lange nachdenken! Sie sind nur mäßig motiviert, wissen aber, dass Sie sich nach dem Sport viel besser fühlen und grübeln, ob Sie wirklich gehen sollten? Zählen Sie einen Countdown herunter, das stoppt die Gedanken. Zählen Sie laut 5-4-3-2-1 und gehen direkt los.
Was hilft Ihnen im Umgang mit den psychischen und mentalen Herausforderungen der Fatigue?
Alexandra von Korff: Grundsätzlich helfen mir Routinen besonders, weil sie automatisiert ablaufen und mein Leben dadurch entstressen. Das ist wie Zähne putzen, alles worüber ich nicht nachdenken muss und organisiert ist, entlastet mich auch mental.
Ich versuche nicht zu streng mit mir selbst zu sein und meine Grenzen zu akzeptieren. Das ist zugegebenermaßen schwer für mich. Ich will so viel und muss mir dann eingestehen, dass ich nicht alles kann. Aber ich spüre, dass ich zufriedener bin, wenn ich auf meine Grenzen achte und weniger mache.
Ignoriere ich das und lade mir zu viel auf, bin ich frustriert, weil ich schon wieder nicht alles geschafft habe. Je mehr ich weglasse, desto besser fühle ich mich. Es ist trotzdem schwierig, weil ich so eine Fear of Missing Out sich dann öfter breit macht und hier habe ich leider keinen Weg gefunden wie man da die Balance findet.
Natürlich geht das im Alltag nicht immer, denn es gibt nun einmal Verpflichtungen und die müssen erledigt werden. Hier habe ich Unterstützung durch einen Babysitter und auch die Haushaltshilfe aus der Zeit der Tagesklinik wird weiter bei uns bleiben. Sie nimmt mir Aufgaben und Tätigkeiten im Haushalt ab, die Kraft kosten. Dadurch bin ich entlastet und kann mich auf die wichtigen Dinge konzentrieren. Das ist mir erst schwergefallen, denn ich bitte nicht gerne um Hilfe, aber niemand von uns hat etwas davon, wenn ich dünnhäutig und gestresst bin, weil ich es alleine schaffen möchte. Grenzen zu akzeptieren und Hilfe anzunehmen lässt uns alle profitieren.
Welche Rolle spielt das Umfeld bei Fatigue? Was müssen die Menschen um Sie herum wissen, wie können Sie unterstützen und wo ist die Grenze?
Alexandra von Korff: Das Umfeld kann eine große Unterstützung sein – sowohl praktisch, als auch emotional. Ich hatte immer das Glück, dass Menschen mir konkret Hilfe angeboten haben. Sei es die Kinder von der Kita abzuholen oder zu einem Spieltreffen mit Freunden zu bringen. Ich musste einfach nur „ja“ sagen. Das fiel mir viel leichter als zu fragen, ob jemand meine Kinder betreuen könnte. Nach Unterstützung zu fragen war mir sehr unangenehm.
Jeder geht anders mit der Fatigue um und hat ganz persönliche Strategien, um das eigene Päckchen zu tragen. Fatigue zu verstehen ist nicht nur für Betroffene, sondern auch für das Umfeld schwer. Diese Form der Erschöpfung ist nicht greifbar für jemanden, der es selbst nicht erlebt hat. Wenn mir dann jemand sagt „Ich bin auch oft müde.“ oder „Dann leg dich doch einfach hin und mach die Aufgaben später am Abend.“, finde ich das übergriffig und fühle mich unverstanden.
Mir ist lieber, wenn die Person mir dann einfach zuhört oder fragt, wie sich die Fatigue für mich anfühlt und was sie mit mir macht. Es ist schwer, solche Gespräche einfach nur auszuhalten ohne ungefragte und meist wenig hilfreiche Tipps zu geben. Aber genau dieses offene Ohr und Verständnis helfen mir, wenn ich gerade nicht weiterweiß.
Mit der Fatigue ist an manchen Tagen das Energiekonto um 11 Uhr eben schon leer und wir müssen uns irgendwie durch den restlichen Tag hangeln. Wenn nun aber abends noch eine vor vielen Wochen ausgemachte Verabredung ansteht, möchte ich am liebsten hingehen, weil ich mich schon lange darauf freue. Aber eigentlich müsste ich absagen und mich erholen. Das finde ich selbst traurig und bin froh, wenn meine Freunde mir deswegen nicht böse sind. Hier hilft viel Kommunikation, die den Druck rausnimmt, indem ich einfach absagen kann, wenn es nicht passt.
Ich möchte mich eigentlich nicht zurückziehen, aber wenn ich immer wieder absage, dann fragt irgendwann niemand mehr, ob ich dabei sein möchte. Es ist schön, wenn ich trotzdem gefragt werde, auch wenn ich nicht immer dabei bin. Dann fühle ich mich als Teil der Gruppe bedacht, bin nicht isoliert und komme dazu, wenn es geht.
Welchen Tipp würden Sie als Betroffene anderen Betroffenen geben?
Alexandra von Korff: Wichtig ist, das zu tun, was Ihnen selbst ganz individuell hilft. Mir persönlich tut Struktur gut und nicht zu viel zu wollen. Wenn ich mir weniger auf den Teller lade, geht es mir besser und ich bin zufriedener.
Was ich am Abend erledigen kann, tue ich. Ich decke abends den Frühstückstisch, habe meine Tasche für die Arbeit fertig gepackt neben der Tür stehen und lege die Kleidung für die Kinder und mich für den nächsten Tag heraus. Das finde ich zwar eigentlich fürchterlich spießig und unflexibel, aber es spart mir viel Kraft für den nächsten Tag. Ich kann ja spontan immer noch etwas anderes anziehen.
Und ganz pragmatisch hilft mir Ordnung, weil es die Abläufe einfacher und unkomplizierter macht. Wenn ich weiß, wo etwas liegt, dann muss ich keine Kraft und Zeit investieren, um den Gegenstand zu finden. Und für alles Wichtige gibt es kleine Anhänger, die mit Bluetooth den Standort lokalisieren können. Ich habe sie an Geldbörse, Schlüssel und Co. befestigt und finde im Fall der Fälle alles schnell wieder und schone meine Kräfte. Hört sich fast so an als hätte ich alles im Griff, habe ich aber leider nicht. Doch ich bin auf einem guten Weg.
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